WiSe15 AK Zivilklausel
Vorstellung des AKs
Verantwortliche/r: Köln
In NRW gibt es seit einem Jahr eine Friedens- / Zivilklausel für alle Hochschulen; sie sollen einen Beitrag zu Frieden, Nachhaltigkeit und Demokratie leisten. An vielen Hochschulen ist das in den Grundordnungen noch weit(reichend)er ausgeführt. Zwar geht diese Entwicklung stark auf die Kölner Aktivitäten zurück, dennoch haben wir auch hier nicht so wirklich einen Plan, wie man daraus denn jetzt was macht. Was heißt es konkret für die Physik, einen Beitrag zu Frieden, Nachhaltigkeit und Demokratie zu leisten? Was heißt das für die Studiengänge (außer mehr Wissenschaftsgeschichte)?
Zu diskutieren sein wird sicher auch: Was bedeuten Friedensklauseln? Sind sie Luschen-Klauseln, weil sie nichts explizit verbieten, oder eigentlich viel weitreichender?
Arbeitskreis: Zivilklausel
Protokoll vom 21.11.2015
- Beginn
- 10:30 Uhr
- Ende
- 12:30 Uhr
- Redeleitung
- Stefan (Uni Köln)
- Protokoll
- Jan (Uni Köln)
- Anwesende Fachschaften
- HU Berlin,
- Uni Bonn,
- Uni Bremen,
- TU Darmstadt,
- TU Dresden,
- Uni Duisburg-Essen,
- TU Ilmenau,
- Uni Köln,
- Uni Konstanz,
- Uni Leipzig,
- LMU München,
- Uni Siegen,
- Uni Würzburg,
Einleitung/Ziel des AK
Austausch-/Diskussions-AK zum Thema Zivilklausel. \\ Leitfrage: Was heißt die Zivilklausel für den Alltag/das Physikstudium?
Protokoll
Vorstellung und Stand vor Ort
Kurze Vorstellungsrunde mit Berichten zu den Fragen "Was ist an Eurer Hochschule der Stand?!" "Wie viel hattet Ihr persönlich bisher damit zu tun?":
- Konstanz: seit 1991 Zivilklausel. Es existiert ein AStA-Referat dazu. Haben jedoch trotz Klausel Kooperation mit Rüstungskonzern
- Leipzig: Keine Zivilklausel. Steht aber immer wieder zur Diskussion.Daher besteht Interesse daran, wie man so etwas formuliert.
- Dresden: Keine Klausel
- Siegen: AStA hat eine Zivilklausel weit vorangetrieben. Fachschaft Physik steht nicht wirklich dahinter, weil Befürchtung, diese die Grundlagenforschung stören.
- LMU: Keine Zivilklausel. Würde gerne Ideen dazu haben, weil noch unentschlossen was man davon halten soll
- Bremen: Seit '86 Zivilklausel als eine der ersten Unis, im Nachhinein nochmal bestätigt. U.a. schonmal zum Einsatz/zur Diskussion gekommen bei Professur, die von einem Satellitenhersteller gesponsert wurde. Es kam auch schon zu übertriebene Vorfällen
- TU Ilmenau: Haben Zivilklausel.
- HU Berlin: Keine Zivilklausel soweit bekannt.
- Würzburg: Keine Zivilklausel. Wird immer wieder angestrebt.
- Bonn: Zivilklausel wie der Rest von NRW. Fachschaft Physik etwas skeptisch, aus Gründen wie Siegen.
- Darmstadt: Noch keine Zivilklausel. Kamen überein keine Klausel bezüglich Firmenkooperationen zu machen, sondern eine dem Frieden zuträgliche
- Duisburg-Essen: Klausel vorhanden, aber Status und Umsetzung Anwesenden nicht klar.
Input: Was bisher geschah
von Stefan (Uni Köln):
Historie: entstanden als Auflage der Alliierten: Verbot von Rüstungsforschung im entmilitarisierten Berlin und für Kernforschungszentren. Zusätzliche Zivilklauseln werden als Selbstverpflichtungen von Hochschulen beschlossen in den 80ern im Rahmen der Diskussion um NATO-Doppelbeschluss, Anfang der 90er im Rahmen der Konversionsdebatte nach der Wende, seit 2009 (Bildungsstreik, Zusammenlegung Kernforschungszentrum Karlsruhe (mit Zivilklausel) und Hochschule Karlsruhe (mit Rüstungsforschung) zum KIT). Bei der damaligen Debatte gab es folgende Hauptprobleme/Diskussionspunkte:
- Dual-Use: aus Grundlagenforschung kann beides, militärisches und ziviles, entstehen. Stehen Zivilklauseln Grundlagenforschung im Weg?
Aktueller Stand der Diskussion: "Alles Denkbare wird einmal gedacht" (Dürrenmatt, Die Physiker) Deshalb kommt es weniger darauf an, wie Forschungsergebnisse prinzipiell eingesetzt werden könnten, als darauf, mit wem man zusammen arbeitet: Problematischer als "gefährlichen" Fragen nach zu gehen, ist es, relevante Fragen auszusparen, weil die Ergebnisse Bündnispartnern nicht passen könnten. Denn wer sollte sonst gegen Kriegsinteressen aufklären, wenn nicht die Hochschulen?
- Wie versteht man die im Grundgesetz genannte "Freiheit der Lehre und Forschung" ?
Dazu Linie 1: Jeder Einzelne macht das was er für richtig und verantwortlich hält. Linie 2: Als Individuum kann man der Verantwortung nicht gerecht werden. Muss also im Austausch geschehen. Artikel zur Kontroverse "Verantwortung versus Freiheit der Wissenschaft": [1]
- Zivil versus friedlich: Humanitärer Einsatz mag friedlich sein, ist aber nicht zivil. Stand der Diskussion: Die Hochschulen müssen auch zur gesellschaftlichen Kontroverse beitragen, inwiefern Militäreinsätze zu Frieden beitragen. Dementsprechend ist diese Kontroverse an den Hochschulen zu führen und kann nicht im Vorfeld durch "wasserdichte" Wortwahl entschieden werden.
- Verbot versus Aufgabe. Formulierung:Unter anderem im NRW-Hochschulgesetz findet sich inzwischen eine Zivil-/Friedensklausel der Form: "Die Hochschulen entwickeln ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie sind friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nach." (Hochschulgesetz NRW, §3(6), seit 2014) Manche NRW-Hochschulen regeln in ihren Grundordnungen darüber hinaus zusätzlich ein Verbot von Militärforschung / Zusammenarbeit mit Militär und Rüstungsindustrie.
Von manchen als Luschen-Klausel gesehen, weil man nichts explizit verbieten kann. Andere Sichtweise: Verbote verhindern nur die Exzesse, betreffen nur wenige, verhindern Schlimmes. Aufgabenbestimmungen betreffen alle: Ermutigung, zum Beispiel als Kontra zu Exzellenz-Gedöns, humanistische Anliegen ernst zu nehmen. Z.B. Maßstab für Lehrberichte etc. Literatur: [2]
Zwischenfrage: Gibt es in Köln ein Gremium zur Zivilklausel? Wer entscheidet/kümmert sich? Antwort: Es existiert nicht. Zivilklausel soll Querschnittsaufgabe sein und nicht einzelnen zugeschrieben werden. Noch nicht zu Ende diskutiert. Beispiele für so etwas mit sehr langer Tradierung gibt es aber an der TU Berlin
Diskussion
An der NRW-Zivilklausel soll exemplarisch diskutiert werden, was es denn für die Physik in Lehre und Forschung bedeutet Nachhaltigkeit, Frieden und Demokratie beizutragen. Es wurde sich auf das Vorgehen geeinigt, vorerst Thesen vorzutragen und dann zu diskutieren. 1.These: Zentrale Aufgabe der Naturwissenschaften ist derzeit Aufklärung
- über nicht ergriffene Möglichkeiten (z.B. Technologien die aber nicht genutzt werden)
- gegen Lügen und Falschdarstellungen
- gegen Esoterik
Sie tritt angesichts der Produktion neuen Wissens zu sehr in den Hintergrund. 2. These: Es gibt keine \glqq Grundlagenforschung\grqq , deren künftige Bedeutung nicht von Anfang an abschätzbar wäre. Vor allem ist das Pochen auf der Zweckfreiheit von Grundlagenforschung Rechtfertigung, um nicht die Verantwortung für Technikfolgenabschätzung zu Übernehmen. Siehe auch Artikel in SDS Denkschrift An Technikfolgenbestimmung (nicht nur Abschätzung arbeitet derzeit vor allem das IANUS-Institut in Darmstadt: [3] 3. These: Wissenschaft ist kulturbildend. Aufgabe der Physik ist u.a. zu Rationalität für Jedermann/-frau gegen Geniekult und Expertokratismus beizutragen. 4. These: Gesellschaftliche Wissenschaftsgeschichte: Soweit sich überhaupt von Physiker*innen mit der Geschichte ihres Faches befasst wird, dann wird die Verbindung zur gesamtgesellschaftlichen Geschichte wenig berücksichtigt. Dabei war gerade die Physik immer politisch umstritten und viele Physiker*innen waren politisch sehr aktiv. 5. These: Auch Physiker*innen sind Menschen, die ein Interesse an Frieden und einer humanen Entwicklung der Welt haben. Dementsprechend sollte man eigenen Ambitionen (u.a. im Studium) mehr Bedeutung beimessen. Die These 2 war umstritten, allen anderen Thesen wurde weitgehend zugestimmt. Mögliche Konkrete Folgerungen, welche im Laufe der Diskussion aufkamen (als genannte Ideen ohne Bewertung und Reihenfolge):
- Bewussteres Studieren als Folge von These 5.
- Eine Ringvorlesung, wie sie z.B. in Köln existiert, in der sich die Arbeitsgruppen vorstellen, gibt Überblick und Orientierung. Dies erleichtert eigenständiges, bewusstes Studieren, im Gegensatz zum sturen Abarbeitens des Studienplans.
- An der LMU gibt es ein Professorencafe, wo man privat bei Glühwein als Studi mit Professoren quatschen kann.
Es gibt Einwände bezüglich These 5 im Hinblick auf den Werdegang von Professor*innen. Es wird bezweifelt, dass die meisten Professor*innen tatsächlich nur aufgrund ihrer eigenen Ambitionen ihren Werdegang beschritten, sondern viel eher weil viele vermutlich nur "reingerutscht" sind und nicht übertriebene Idealisten sind. Einfach nur mal vom Prof als Anekdote hören, warum er das tut, was er gerade tut, wird nicht als zielführend erachtet, um zu entsprechenden Inspirationen zu kommen. Weitere Ideen: Es könnten vermehrt populärwissenschaftliche Vorträge an Unis für alle frei zugänglich gehalten werden. Profs können angesprochen werden, Vorträge oder Veranstaltungen zu Themen zu halten, die die Zivilklausel betreffen, z.B. gesellschaftliche Verantwortung, Technikfolgenbestimmung, Wissenschaftsgeschichte. Fachschaften können mit ihrem Studierenden Diskussionsabende veranstalten, an denen z.B. die Zivilklausel diskutiert werden kann, um sie und ihre möglichen Auswirkungen mehr ins Bewusstsein der Studenten zu rufen. Ideen zur öffentlichen Kommunikation: Wenn Profs an die Öffentlichkeit gehen sollten sie sensibilisiert werden, wie das gesagte ankommt. Grade unverständlicher Wissenschaftlicher Kram befeuert z.B. Verschwörungstheoretiker. Wissenschaftliche Sachverhalte sollte allgemeinverständlich kommuniziert werden. Beispiele für populärwissenschaftliche Vorträge aus Siegen: Professorin hat alle eingeladen öffentlich Vorträge zu halten. Idee: Aufgrund der Schlussfolgerungen aus der Zivilklausel können auch Vorschläge für (z.B. inhaltliche) Änderungen in Übungen und Vorlesungen in Gremien begründet werdet.
Zusammenfassung
Es war eine etwas müde aber am Ende doch spannende Diskussion, die das Thema Militär ganz außen vor gelassen hat und sich auf die zivilen Aspekte der Zivilklausel beschränkte. In anderen Worten haben wir darüber geredet, was man schönes aus einer Zivilklausel machen kann. Vor allem wurden viele Ideen diskutiert, inwiefern Physik zu Demokratie beitragen kann (und ein bisschen zu Nachhaltigkeit); die Frage nach dem Beitrag zu Frieden wurde wenig beantwortet. Zwar gibt es Vorbilder wie die Aufklärung von Physikern in den 80er Jahren, dass die Pershing-Raketen das, wozu sie vorgeblich da waren, gar nicht erfüllen können, und mithin ihre Legitimation eine Lüge sein musste etc. Ein aktueller Beitrag wurde aber nicht klar. Dem soll noch genauer nachgegangen werden. Folge AK ist gewünscht: Wir wollen Empfehlungen erarbeiten zu: 1. Aufklärung als Aufgabe der Physik --- Sensibilisierung für Öffentlichkeitsarbeit (siehe oben) 2. Beitrag der Physik zu Frieden. Was/Wie kann Physik zu friedlicher Gesellschaftsentwicklung beitragen.